An(ge)dacht – Mit den Augen Marias auf Jesus schauen

Ist es nun eine alte Leier oder ein hochaktuelles Gebet? – Am Rosenkranzgebet scheiden sich die Geister!

Vielfach wird der Rosenkranz immer wieder spöttisch betrachtet, bisweilen gar als „Altweibergebet“ oder ähnlich tituliert. Abgesehen von der Dankbarkeit, die wir gerade diesen älteren Menschen schulden – denn wieviel Gutes geschieht gerade durch das Gebet so manch alten oder kranken Menschen – verkennt eine solche Sichtweise den Ursprung und die Wirkmächtigkeit des Rosenkranzgebetes.

Kurz nach seiner Wahl zum Papst bekannte der heilige Johannes Paul II: „Der Rosenkranz ist mein Lieblingsgebet. Ein wunderbares Gebet, wunderbar in seiner Schlichtheit und seiner Tiefe.“ Er war es auch der im Apostolischen Schreiben „Rosarium Virginis Mariae“ im Jahr 2002 dem Rosenkranzgebet die lichtreichen Geheimnisse hinzufügte, als Ergänzung zu den bestehenden freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen Rosenkranzbetrachtungen.

Die Gebetsform reicht weit in die Vergangenheit zurück. Dieses Gebet erzählt von der Gemeinschaft der Glaubenden, von der durch die Zeit pilgernden Kirche, von der als durch Gebet und Sakramente verbundenen Familie Gottes. Bereits im 12. Jh. entstehen erste Vorformen des Rosenkranzgebetes in den Klöstern und Ordensgemeinschaften. Die Tradition des regelmäßigen klösterlichen Psalmengebetes mit seinen 150 Psalmen und die sich durchsetzende Praxis, dass dieses Beten durch das Beten von ‚Vater unser und ‚Ave Maria‘ ergänzt oder ersetzt wurde, legte quasi die Grundlage für die Gebetsform des Rosenkranzes.

Hinzu kam das zunehmend erwachende Interesse an dem konkreten Menschen Jesus Christus, den äußeren Gegebenheiten seines Lebensweges und damit verbunden seine Geburt durch die Jungfrau Maria sowie sein Leiden und Sterben führten dazu, dass Weihnachts- und Passionsfrömmigkeit in den Vordergrund rückten, ohne jedoch den Blick auf das Ostergeheimnis zu vernachlässigen. Neben der bis dahin überwiegenden Betonung des göttlichen und triumphierenden Christus trat das Interesse an der menschlichen Dimension Jesu.

Diese Entwicklung brachte es auch mit sich, dass mit dem Blick auf das Geheimnis der Menschwerdung an Weihnachten auch die Verehrung Marias als Jungfrau und Mutter stark an Bedeutung gewann. So galt Maria ab dem 12. Jahrhundert als Idealbild sowohl der mütterlichen Kirche wie auch des einzelnen Gläubigen.

In späterer Zeit wird die Praxis üblich, dass dem ‚Ave Maria‘, das einhundertfünfzig Mal wiederholt wird, kleine biblische Verweise auf Jesus und Maria angefügt werden. Im 15. Jahrhundert findet das Rosenkranzgebet in etwa zu der Gestalt die wir bis heute kennen, mit den freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen „clausulae“, also den Einfügungen nach der Nennung des Namens Jesu im ‚Ave Maria‘.

Der hl. Papst Pius. V. approbierte die Form des Rosenkranzgebetes und führte ein Jahr nach dem Sieg über das Osmanische Reich in der Seeschlacht von Lepanto am 7. Oktober 1572 den heute unter dem Namen „Fest Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz“ bekannten Gedenktag in den liturgischen Kalender ein.

Zu den großen Marienverehrern unter den Päpsten zählt sicherlich Papst Leo XIII.. In den Jahren 1883 bis 1898 verfasste er insgesamt zwölf Enzykliken zum Rosenkranzgebet. Er war es auch, der den Oktober zum Rosenkranzmonat bestimmte und dafür sorgte, dass die bei den Gläubigen und geistlichen Gemeinschaften beliebte Gebetsform einen angemessen Platz im Kirchenjahr erhielt. Besonders arme Leute, die weder lesen noch schreiben konnten, aber die Dinge des Lebens, anders ausgedrückt: die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums wahrhaft zu lesen und zu deuten wussten (wie wichtig auch für die heutige Zeit), beteten inständig den Rosenkranz.

Die Geschichte des Rosenkranzes birgt auch einen Schatz an persönlichen Erfahrungen, die mit diesem Gebet einhergehen. Manch einer hat vielleicht noch Erinnerungen an das gemeinsame Beten in der Familie, an Situationen, in den der Rosenkranz Trost und Halt bot, zu einer geistigen Zuflucht und Herberge wurde. Auch auf dem letzten Lebensweg, am Sterbebett, ist es gut, im Vertrauen auf die Fürsprache Mariens im Augenblick des Abschieds von der Welt zu beten: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.“

Papst Benedikt XVI. beschreibt seine Erfahrung folgendermaßen: „Ich mache ihn ganz einfach, genau so, wie meine Eltern gebetet haben. Beide haben den Rosenkranz sehr geliebt. Und je älter sie wurden, desto mehr. Je älter man wird, desto weniger kann man große, geistige Anstrengungen vollbringen, desto mehr braucht man andererseits eine innere Zuflucht und ein Hineinschwingen in das Beten der Kirche überhaupt. Uns so bete ich auch eben, wie sie es auch getan haben.“

Aber besitzt das Rosenkranzgebet hinter den Geschichten der Vergangenheit auch eine lebendige Gegenwart? Erscheint es nicht vielmehr wie ein überkommenes und überholtes Gebet, ein aus der Zeit gefallenes Frömmigkeitsritual?

Nein, denn die Kirche lebt, ihr Beten verstummt nicht. Und sie hat den Auftrag, die Botschaft Jesu in die ganze Welt zu tragen. Aktiv und im Gebet.

Der Rosenkranzmonat Oktober lädt uns dazu ein, die Schönheit und die erhabene Einfachheit dieses Gebetes wieder neu zu entdecken. Das Rosenkranzbeten gewährt auf beste Weise eine echte „participatio actuosa“ – eine tätige Teilhabe – an der Wahrheit und der Schönheit unseres katholischen Glaubens. Mit Maria wendet sich der Betende Christus zu. Und hier ist nicht entscheidend, ob er bewusst mitspricht oder schweigend innerlich dem Gebet lauscht. Getragen vom Gebet der anderen und von der tiefen Ruhe bietet sich demjenigen, der sich für diese Gebetsform öffnet, die Gelegenheit, bei Jesus zu verweilen. Er schaut von innen her mit den Augen Marias auf das Leben und Wirken Jesu Christi.

Marianisches Brauchtum und Tradition, so auch das Rosenkranzgebet brauchen eine echte Tiefe und Bedeutung, um nicht zu reiner Nostalgie oder seelenlosem Tun zu werden. Dies gilt im Übrigen auch für viele andere Bereiche des kirchlichen Lebens.

Wo man Maria beiseitelässt, da entfernt man sich auch von Christus. Die Heiligen und die Kirchenlehrer betonen in unterschiedlicher Art und Weise immer wieder, dass die lebendige Verehrung Marias ein untrügliches Zeichen eines guten geistlichen Lebens ist.

An uns liegt es, die Geschichte des Rosenkranzgebetes im Heute fortzuschreiben. Zugleich ist und bleibt es eine Tatsache, dass sich auch in unserer Zeit am Rosenkranz die Geister scheiden werden.

Entscheiden wir uns!

Pfarrer Marco Hartmann

Foto: © Friedbert Simon, In: www.pfarrbriefservice.de