Geistige Kommunion

Die Feier des Herrenmahles mit seiner Frucht, der Eucharistie, ist das größte Sakrament des Neuen Bundes. Das Neue Testament begründet an unterschiedlichen Orten die Würde und den Wert des eucharistischen Brotes, das uns zur Speise wird. Die vielen Details können hier nur erwähnt werden. Der Empfang der heiligen Kommunion ist Mittel zum Erhalt und zur Festigung unseres ewigen Lebens; er bezieht den Gläubigen ein in Opfer Christi selbst und macht die Getauften im Auferstandenen zu einem Leib. Im Verlauf der Jahrhunderte tritt in der Entwicklung kirchlicher Frömmigkeit dann zunehmend der Gedanke hervor, dass die Eucharistie eine leibhaftige Begegnung mit Jesus ist, die als personal-mystische Sicht des Geschehens verstanden werden kann – ein Gesichtspunkt, der zunehmend Verbreitung findet.

Gleichzeitig vermehren sich die Stimmen, die für den Eucharistie-Empfang auf den pastoralen Schatz einer „Geistigen Kommunion“ abheben. Groß ist die Anzahl der Heiligen und Kirchenlehrer, die ihn ansprechen und uns nahebringen, indem sie die spirituellen Früchte des Kommunizierens hervorkehren. Die griechischen Theologen Basilius (+379) und Gregor von Nazianz (+390) sehen die Wirkung des Kommunionempfangs in der Begnadung mit dem Geist Gottes; Hilarius von Poitiers (+367) bezeichnet den Genuss des irdischen Christus als Mitteilung des trinitarischen Lebens; Johannes Chrysostomus (+407) erinnert daran, dass nach den Worten des Apostels Paulus der „Leib des Herrn zu unterscheiden“ (1 Kor 11,29) ist, und folgert, die sakramentale Wirklichkeit eröffne sich nicht den Sinnen; sie müsse im Glauben vom geistlichen Menschen empfangen werden. Für all diese Kirchenväter steht das zeichenhafte Essen des Leibes Christi nicht in sich; es zielt vielmehr auf gnadenhaft-innere Früchte.

Es war Augustinus (+431), der in seiner wunderbaren Spendeformel für den Eucharistieempfang der Neugetauften die empirisch-greifbare Gemeinschaftsverwiesenheit des Herrenmales herausgestellt hatte: „Man sagt euch: der Leib Christi. Und ihr antwortet: Amen. Seid denn Glieder des Leibes Christi, auf dass euer ‚Amen‘ wahr sei…Seid, was ihr seht, und empfangt, was ihr seid.“ Doch er ist es auch, der das sakramentale Essen relativiert und die geistige Begegnung mit dem Herrn betont. In seiner prägnanten Sprache treibt er diese Wahrheit auf die Spitze. Seine Predigten zu Johannes-Evangelium enthalten den für unser Thema meistzitierten Satz: „Ut quid paras dentes et ventrum? Crede, et manducasti! – Warum bereitest du die Zähne und den Leib? – Glaube, und du hast gegessen!“ Aus diesem Angelpunkt „Geistiger Kommunion“ folgte eine lange und weittragende Wirkungsgeschichte.

Bis zum Toleranzedikt Kaiser Konstantins (312) feierten die Gläubigen die heilige Messe im engen Kreis derer, die nach langem Katechumenat und oft in Zeiten der Christenverfolgung zu geistlicher Reife herangewachsen waren. Nun aber strömten wegen der staatlichen Anerkennung viele Menschen in die Gemeinden, deren persönliche Entscheidung für den Glauben weniger radikal war. Man begann, am Opfermahl teilzunehmen, ohne den Leib des Herrn zu essen. Durch die Völkerwanderung und die Germanenmission nahm das Sprachverständnis für die Liturgie ab; die Gemeinde konnte den Gebeten und Handlungen der Priester nicht länger folgen und deutete seine Zelebration nur noch allegorisch und symbolisch. Aus all diesen Gründen verminderte sich die Zahl derer, die dem Herrn auf sakramentale Weise begegneten; man begnügte sich damit, sich ihm in geistiger Weise zu nahen.

Diese Weise ging mit einer zunehmenden Personalisierung des Kommunizierens einher und verbreitete sich im Laufe der Geschichte zunehmend unter den Gläubigen. Im Mittelalter sah man dann den eucharistischen Jesus als den Gast der Seele, den König, dem man entgegengeht, an den man sich im persönlichen Gespräch wie an ein Du wendet. Bernhard von Clairvaux (+1153) mit der Brautmystik des Hohen Liedes, Bonaventura (+1274) und besonders die Mystiker des 14. Jahrhunderts wieder deutsche Heinrich Seuse (+1366) etwa trugen viel zur Verbreitung eines personalisierten Eucharistieempfangs bei. Mit wachsender Anthropo- und Egozentrik in der Weltsicht in der Renaissance traten dann der kommuniale und eschatologische Sinn des eucharistischen Geschehens mehr und mehr in den Hintergrund. Solche Vereinseitigung auf das Innerlich-Intime wurde dem theologischen Reichtum des eucharistischen Geschehens nicht länger gerecht. Der Gedanke der Hineinnahme in das große Erlösungsopfer Christi ging ganz verloren. Der Gottesdienst verlor den Charakter eines Festes mit der gemeinsamen Freude über Christi Sieg und seine Auferstehung. Die „Geistige Kommunion“, in der sich der individuelle Aspekt der Christus-Begegnung gleichsam bündelte, ließ den liturgischen Reichtum verkümmern.

Auch eine größere Sensibilität gegenüber der Sünde wirkte sich zum Nachteil des Empfangs der Eucharistie unter dem Zeichen des Brotes aus. Kriege, Pest und andere Seuchen quälten die Menschen und erschienen ihnen oft als Strafe Gottes für ihr Vergehen. Hatte doch der Apostel Paulus die Gemeinde in Korinth gelehrt, Gott werde die unwürdige Teilnahme am eucharistischen Mahl nicht ungestraft lassen. Schwäche, Krankheit und Tod seien die Folge des unwürdigen Empfangs der Eucharistie: „Wer unwürdig isst und trinkt, der isst und trinkt sich das Gericht, da er den Leib des Herrn nicht unterscheidet. Darum sind unter euch viele Schwache und Kranke und so manche entschlafen“ (1 Kor 29f). Die „Geistige Kommunion“ jedoch konnte nie unwürdig empfangen werden. Wer sie begehrte, der zog sich somit nicht die Drohung des Völkerapostels an die Gemeinde in Korinth zu. – Schließlich darf für das Fernbleiben vom Tisch des Herrn nicht die Glaubensentfremdung übersehen werden, die den „Gipfel des Tuns der Kirche“ (SC 10) nur noch als lästige Pflicht empfinden ließ, was sich dann in einem Kirchengebot niederschlug: Die Katholiken mussten aufgefordert werden, wenigstens einmal im Jahr die heilige Kommunion zu empfangen.

Die hier sehr geraffte Entwicklungsgeschichte der „Geistigen Kommunion“ zeigt, dass ihre Verbreitung auch manche Schattenseiten birgt. Doch unverkennbar sind auch ihre theologisch legitime Übung und ihre heilsame Wirkung durch die Jahrhunderte hin. Die Dekrete des Konzils von Trient (1545-1563) und der Catechismus Romanus (1567) erwähnen sie darum und halten an ihr fest. Sie gibt durch Glaube, Sehnsucht und Liebe Anteil am Opfer Christi. Ihre geistliche Frucht ist nach der Einschätzung kirchlicher Autorität der sakramentalen Kommunion annähernd gleich.

Vom Eucharistie-Verständnis, wie die aufgezeigten Wurzeln der „Geistigen Kommunion“ erkennen lassen, unterscheidet sich unsere heutige Sichtweise auf das Sakrament der Eucharistie beträchtlich. Unser gegenwärtiges Verhältnis zum Altarsakrament ist geprägt von mancherlei Impulsen, die den sakramentalen Empfang der Eucharistie empfehlen. Da sind zunächst die Anregungen der liturgischen Bewegung, die seit der Wende zum 20. Jahrhundert den Vollzug des Gottesdienstes nachhaltig beeinflusste. Sie machte aus der gottesdienstlichen Versammlung wieder eine aktive Gemeinschaft. Ihre Impulse führten im Zweiten Vatikanischen Konzil zum Stichwort der „actuosa participatio – der tätigen Teilnahme“ als Leitvorstellung für die Feier der Liturgie. Zur heiligen Kommunion hinzuzutreten erwies sich als zentrales Merkmal dafür, dass man der Eucharistiefeier nicht länger passiv zuzuschauen hatte. – Gewiss senkte das Kommuniondekret des heiligen Papstes Pius X. vom August 1910 gleichfalls die Barriere, die in der Kirchengeschichte den Kommunionempfang zu einer Seltenheit gemacht hatte. – Ferner folgte aus der Neufassung des eucharistischen Nüchternheitsgebotes die Zunahme der Kommunionen. – Besonderen Einfluss hatte schließlich die Herausstellung des Gemeinschaftscharakters der Eucharistiefeier. Gegen privatistische Frömmigkeit und die Verengung der Eucharistie auf eine persönliche Begegnung mit Christus, dem „Gast und Bräutigam der Seele“, wuchs wieder das frühchristliche Bewusstsein von der Kirche als mystischem Leib Christi.

Weil sich der Staub der Jahrhunderte auf die „Geistige Kommunion“ gelegt hat, scheint für ihr Wiedergewinnen eine Sachklärung unabdingbar. Man stößt ja auf Diskussionsbeiträge, die den Begriff „Geistige Kommunion“ mit einem traditionsfremden oder beliebigen Inhalt füllen; sie führen nicht weiter. Wer den Ausdruck gebraucht, sollte wissen, wovon er spricht.

„Geistige Kommunion“ versteht sich als eine wirkliche Alternative zum physisch-realen Empfang, der ohne entsprechende innere Haltung und Disposition eine rein äußerlicher bleibt, d.h. ohne Gnadenwirkung, unter Umständen sogar von Gott entfremdet.

Seit hunderten von Jahren ist die „Geistige Kommunion“ fromme Übung der Gläubigen. In den Zeiten des seltenen Kommunionempfangs ersetzte sie den Herzen der Gläubigen den physischen Empfang des Sakraments.

Die Aussagen der genannten Kirchenväter und Theologen sind für die „Geistige Kommunion“ ein sicheres Glaubensfundament. Sie vermitteln eine verlässliche theologische Basis für eine Übung. Für die heutige Seelsorge verdient sie aus unterschiedlichen Gründen neue Beachtung.

Kranken und alten Menschen, die an einer Eucharistiefeier nicht leiblich teilnehmen können, ihr aber dank der elektronischen Medien beiwohnen, ist die „Geistige Kommunion“ ein wirksamer Trost. Aber auch Christen in der Diaspora, in Missionsländern und in der Verfolgung, wo die Feier und der Empfang der Eucharistie nicht oder nur selten möglich ist.

Nicht zuletzt können die Weisungen der Heiligen und anderer Kirchenväter, die an der Wurzel ihrer Verbreitung stehen, evtl. heute wieder die Praxis des Kommunionempfangs in unseren Gemeinden beeinflussen: Dass nicht schon der äußere Empfang, sondern erst das „Aufnehmen mit dem Herzen“ die Sinnspitze der Kommunion ausmacht.

Die „Geistige Kommunion“ vereinigt uns wirksam mit Christus, sie vermehrt in uns die heiligmachende Gnade und die Tugend der Liebe. So gesehen ist sie ein einfaches und leichtes Mittel, reichen Segen zu erlangen. Sie darf uns eine große Hilfe sein, auf dem Weg der Vereinigung mit Christus. Dass wir immer mehr eins mit ihm werden, mit seiner Liebe, mit seinem Willen. Der Evangelist Johannes beschloss seine Geheime Offenbarung mit eine Ruf der Sehnsucht: „Maranatha – Komm, Herr Jesus (Offb 22,20). Bitten wir unseren Herrn, dass er zu uns kommen möge. In unser Innerstes, unser Herz.

Komm, Herr Jesus.

Quellen: Paul Josef Kardinal Cordes, „Geistige Kommunion“ Befreit vom Staub der Jahrhunderte; P. Andreas Lauer, Die geistige Kommunion

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