Vor nunmehr 225 Jahren, im Jahr 1795, gelobten die Einwohner von Kurtscheid, eine jährliche Prozession nach Verscheid. Anlässlich des 100jährigen Jubiläums notierte der damalige Pfarrvikar Jakob Hubert Schütz im Jahr 1895 Folgendes: „Das Jahr 1795 war für die Kurtscheider äußerst unglücklich. Sie hatten in dem durch die französische Revolution hervorgerufenen Kriege durch Einquartierungen und andere Leistungen viel zu leiden. Dazu kam es, daß bei einer ausgebrochenen Seuche ihr Vieh fast gänzlich zu Grunde ging. Alles dies stürzte sie in schwere Schulden in dieser Not gelobten sie, in jedem Jahr am 1. Mai eine Prozession nach Verscheid zu unternehmen.“
Sie gelobten:
„1795, den 9. September hat sich unser gemein vereinpart eine Prozession angestellt, wegen dem erschrecklichen Krieg, welche nach Vierscheid soll gehalten werden und dann auch, wenn es sein kann, eine hl. Messe da gehalten werden. Diese Prozession soll gehalten werden zu ehren der allerseligsten Jungfrau Maria und unsere lieben schutzengeln und aller auserwelten gottes, das sie bei gott unser Fürsprecher sein mögen, das uns gott bewahren wollen für allem ungelück leibs und der Seelen, wen es unserem Seelenheil dinlich ist und das er auch unser helfer in unser sterbestund sein möge. – Und auch hat sich unser gemein entschlossen, das der zeitliche Vorsteher die Obsicht, das keiner zu haus Arbeiten soll, biß die Prozession gehalten ist. Nun ist es wenigstens gebotten auß jedem haus die zu mißen sind, mitgehen sollen, und ist es dinlich, das sie sich zeit machen. Dieses obige gemelten haben sich versprochen alle Bürger mit ihrem Namen zu unterzeichnen.“
Es waren damals sicherlich schwierige und widrige Zeitumstände, die unsere Vorfahren vor 225 Jahren zu diesem Gelübde veranlassten. Auch das Jahr 2020 wird nicht nur den Kurtscheidern ganz gewiss in Erinnerung bleiben. Doch sind es diesmal weder die Wirren und Folgen einer gottlosen Revolution noch eine Viehseuche, die das gewohnte Leben aus dem Tritt gebracht haben und eine Rückkehr in den normalen Alltag noch nicht absehen lassen. Vielleicht noch mit weitreichenden Folgen in die Zukunft hinein. Ein Virus namens Covid-19 fordert derzeit die Menschheit heraus.
Aufgrund staatlicher und kirchlicher Vorgaben ist es diesmal nicht möglich, dass die Wallfahrt wie gewohnt, gemeinschaftlich mit Bußgang und Bittmesse am 1. Mai stattfinden kann. Dies soll jedoch nicht so gedeutet werden, dass die Wallfahrt komplett abgesagt wäre und das Gelübde nicht erfüllt werden könnte.
Vielmehr entstand im Pfarrgemeinderat die Idee, den diesjährigen 1. Mai als ein „ausgefallenes“ Jubiläum zu begehen. Eben nicht, dass die Wallfahrt komplett ausfällt, sondern anders als sonst, eben in einer ausgefallenen Art und Weise, dennoch stattfindet.
Gemäß den geltenden Regeln darf man sich weiterhin alleine, zu zweit oder als Familie draußen in der Öffentlichkeit bewegen. Also auch auf den weit verzweigten Waldwegen zwischen Kurtscheid und Verscheid.
Die Kapelle in Verscheid steht tagsüber als Wallfahrtsziel und für das persönliche Gebet offen. Das Prozessionskreuz wird nach Verscheid getragen. Auch eine stille heilige Messe wird im Laufe des 1. Mai zu Ehren der Gottesmutter und in den Anliegen der Wallfahrer gefeiert.
Es wäre schön – auch und gerade in der aktuellen Krisensituation –, wenn sich viele Kurtscheider an das Gelübde ihrer Vorfahren in schwerer Zeit erinnern und sich zur Wallfahrt am 1. Mai in dieser „ausgefallenen“ Form dennoch aufmachen.
Pfarrer Marco Hartmann