Gedanken zum Christkönigsfest

„Pilatus sagte zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege.“
(Joh 18,37)

Wir Christen bekennen unseren Glauben in einer Welt, in der viele wie Pilatus fragen: „Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38). Diese Frage stellt Pontius Pilatus unmittelbar an das Bekenntnis Jesu, dass er als König gekommen ist, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen. Pontius Pilatus scheint ein Skeptiker gewesen zu sein, der bestreitet, dass es überhaupt eine Wahrheit gibt im Sinne der Definition von Wahrheit, wie sie der verstorbene Münsteraner Philosoph Josef Pieper vorgeschlagen hat: „Wahrheit bedeutet das Offenbarsein und Sich-Zeigen der wirklichen Dinge.“ Ob es solche wirklichen Dinge tatsächlich gibt und ob der Mensch fähig ist, sie zu erkennen, wurde und wird immer wieder bestritten. In der heutigen akademischen Diskussion, in der die Biologie immer mehr zur Leitwissenschaft wird, kann Wahrheit auch als zerebraler Vorgang verstanden werden.

Wer bezweifelt, ob es überhaupt eine Wahrheit gibt, für den ist der Satz Jesu, dass er für die Wahrheit Zeugnis ablegt, natürlich unverständlich oder ärgerlich. Friedrich Nietzsche schreibt im „Antichrist“: „Im ganzen neuen Testament gibt es nur eine ehrenhafte Figur: Pilatus, der römische Regierende. … Die noble Ironie eines Römers, vor dem ein unverschämter Missbrauch des Wortes Wahrheit stattfand, hat das Neue Testament mit der einzigen Phrase bereichert, die einen strikt und gut abgegrenzten Wert hat, denn es ist seine Kritik und man könnte fast sagen seine Vernichtung: Was ist Wahrheit?“ Die Frage über die Wahrheit Gottes, der Welt und des Menschen ist keine akademische Frage. Sie hat unmittelbare Bezüge zum konkreten Verhalten des Einzelnen und zur Gestaltung der Gesellschaft. Über Pontius Pilatus sagte Papst Johannes Paul II. in seiner Betrachtung am Karfreitag des Jahres 2000: „Der Mensch, der sich nicht von der Wahrheit leiten lässt, ist sogar bereit, einen Unschuldigen schuldig zu sprechen.“

Bischof Ulrich Neymeyr, Erfurt, in: Pfarrbriefservice.de
Foto: Friedbert Simon, in: Pfarrbriefservice.de